Breier, Isabella - DesertLotusNest
Eingebettet in einen wissenschaftlichen Kontext, dessen Galionsfigur der fiktive Kultur- und Literaturwissenschaftler Antoine Bachsirad ist, der als „einer der führenden Köpfe der Erkenntnistheorie des 20. Jahrhunderts“ gilt und sich „als genialer ‚Odyssee‘-Experte verdient“ gemacht hat, zeichnet Isabella Breier die Lebenswege von drei akademisch gebildeten Frauen nach und gewährt dabei auf ironisch-kritische Weise erhellende Einblicke in den Wissenschaftsbetrieb wie in die Welt der Job-Center-Agenturen und Erwachsenenbildungsinstitute.
Sie zeigt, dass Karrieren, die nicht gleich in die Erfolgsspur finden, weniger ein persönliches Unvermögen zugrunde liegt als systemimmanente Fehlentwicklungen. Denn immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass Bildung als Schlüssel für Einstiegs-, Aufstiegs- und Zukunftschancen „oft genug nicht mehr sperrt“, weil da schlecht bezahlte Trainerinnen und Trainer ihren Frust an Kursteilnehmerinnen abreagieren und so den „riesengroßen Wahnsinn der undemokratischen Supermarktdemokratie des krisenanfälligen Turbokapitalismus im Kleinen“ nähren. Diesbezüglich liefert die Autorin großartiges Anschauungsmaterial: Bei Leonore Berger (Anfang 50, geschieden, ein erwachsener Sohn) liegen die Karriereblockaden vor allem in ihrer „sozialromantischen, um nicht zu sagen kommunistischen Kritiksucht“. Ihrem Arbeitgeber zufolge, dem Erwachsenenbildungsinstitut Benu-Up, wiegelt sie nämlich die Leute auf, was Leonore, die bloß auf Einhaltung des Arbeitsrechts pocht, für das Unternehmen, das nur will, dass das „Personal (…) seine Pflicht erledigt und kuscht“, untragbar macht.
Bei der 39-jährigen Esther Weninger-Cordialis ist es weniger die Kuscherei als das eines Nachts auftauchende Bild, „sich unter Asche begraben“ zu sehen, das sie ihre Stelle in einer Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzlei kündigen lässt, was ihr mit zwei Kindern einiges abverlangt. Die drei leben wie in einer „Studentenbude“, was der 14-jährigen Tochter sauer aufstößt. Denn während es bei ihren Freundinnen so schön „nach normaler Familie“ aussieht, wird bei ihr zuhause mit Vater Sergio ein „Doppelresidenzmodell“ gepflegt.
Auch Leonores Freundin Zahra Klaric, die als promovierte Journalistin viel allein unterwegs ist, weiß mit Anfang 40, wie man mit sich ändernden Lebensverhältnissen zurechtkommt. Nicht nur hat ihr Gefährte Max, mit dem sie „acht Jahre lang ein relativ glückliches Paar“ gewesen ist, wegen ihres dauernden Verreisens per iPhone mit ihr Schluss gemacht; auf der Fahrt zur Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin, die den „neu entdeckten“ Nachlass von Antoine Bachsirad sichten und bewerten soll und für den sie „den Job gekündigt und ihr Zuhause für ein Dreivierteljahr verlassen“ hat, findet sie weder neu entdeckte Schriften oder Tonaufnahmen, noch eine „Forschungszentrums-Dependance“, sondern bloß „Schafe zwischen Korkeichen weidend“.
Das „DesertLotusNest“ aber existiert: als 49-seitiges, „von zahlreichen Topoi der antiken ‚Odyssee‘ wimmelndes (…) und in einem spanischen Literaturmagazin“ 1947 erschienenes, „mystisch mysteriöses, theatralisches“ Langgedicht; sowie als „österreichische Arbeitslosenkursmaßnahme in der südostspanischen Wüste“, die „in Verbindung mit atemberaubend schöner Landschaft (...) Orientierungsgespräche, Potenzialanalysen und die Entwicklung realistisch beruflicher Perspektiven“ anbietet: „morgens Schatzsuche, abends Rollenspiel und Wahrnehmungsübungen zur besseren Orientierung“. Alles „auf Freiwilligenbasis“.
Auf Freiwilligenbasis liest man auch gern diesen abwechslungsreichen, mit kleineren tragischen Elementen versehenen, in drei Erzählstränge gegliederten, mit „provisorischen Textproben“, „geschwollenen Reisenotizen“ und Tagebucheinträgen aus „nichts als durchgestrichenen Zeilen“ elegant durchmischten Roman, der über seine niveauvolle Lektüre hinaus auch neugierig macht, ob es in der Wüste von Tabernas tatsächlich „ein Erdbeerfeld“ gibt.
Was dieses ideell wie sprachlich überbordende und mit viel Empathie durchzogene Buch auch noch bietet, ist die Erkenntnis, dass das „facettenreiche Durcheinander des Lebens“ es einem nicht leicht macht, „jenes, was man weiß, und jenes, was man will, (…) in vollendete Harmonie“ zu bringen. Wen wundert‘s, wo doch in dieser österreichischen Welt „von vornherein eine einzige Ungerechtigkeit besteht, wer aufgrund welcher Herkunft und welcher sozialer Privilegien wie viele Chancen“ zur Verfügung hat. Dass „ein abgedroschenes Seufzen“ darüber hinwegzutrösten vermag, muss wohl bezweifelt werden.
Andreas Tiefenbacher
Breier, Isabella - DesertLotusNest
Anmerkungen zur Poetik des Phönix. Roman. Weitra: Bibliothek der Provinz 2018.
530 S. - br. : € 24,00 (DR)
ISBN 978-3-99028-679-1