Bücherschau

Kern, Andrea - ErHängt. Wir fallen

Ein Kaleidoskop aus erzählerischen Rückblenden, Briefen, Tagträumen

„Wer an Selbstmord denkt, den kann man nicht davon abhalten“, heißt auf Seite 42 des zweiten so genannten Romans der jungen österreichischen Autorin, die mit ihrem lasziven Erstling „Kindfrau“ vor allem mit dem Gehalt des Romans die Leserschaft spaltete. In ihrem zweiten Roman nimmt sie sich wohl einem der schwerwiegendsten Fragen menschlicher Existenz an, der des Suizids.
Ein Schriftsteller hat sich selbst getötet und hinterlässt seine Frau Hannah und die Tochter Mara. Vom Leugnen, über die emotionale Phase der Wut und Traurigkeit, den Suchbewegungen, die zu einem Annehmen und Weiterleben führen, durchlaufen Kerns Protagonistinnen die verschiedenen Phasen der Trauer. Kern betitelt die Elemente der Trauerarbeit selbst beispielsweise als „Reflexion“, „Rückblenden“, „Nachtgedanken“, „Resumée“ oder „Wahrheitssuche“. Die Phasen verlaufen naturgemäß nicht geordnet ab und zwischen Momente der großen Frage nach dem Warum, wütenden Anklagen, mischen sich versöhnliche Gedanken ebenso wie skurrile, jugendhafte Exkurse über Tötungsarten oder Versuche des Abschiednehmens.
Andrea Kern gestaltet ein Kaleidoskop aus erzählerischen Rückblenden, Briefen, Tagträumen, die Versuche darstellen, mit diesem schwerwiegenden Verlust leben zu lernen. Sie lässt dabei kaum ein Wort aus, das diesen Prozess beschreibt und vielleicht liegt gerade darin seine größte Schwäche. Manche Lücken lassen sich nicht füllen. Manche Leerstellen bleiben. Und vielleicht ist in manchen Augenblicken – so wie am Ende des Romans – eine „Idyllenszene“, wie sie Kern nennt, die passende Antwort auf die Leere, die nicht zu füllen ist.
Julie August

Kern, Andrea - ErHängt. Wir fallen
Roman. Wien: Picus 2015. 264 S. - fest geb. : € 19,90 (DR)
ISBN 978-3-7117-2027-6


 

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