Bücherschau

Kinsky, Esther - Rombo

Ein soziales und existenzielles Panorama
„Rombo“ ist ein altes italienisches Wort für das besondere Geräusch, das einem Erdbeben vorangeht. Es ist ein fermdes Geräusch ist fremd, das bedrohlich aus dem Erdinneren zu kommen scheint. Esther Kinskys Buch wählte diesen Titel wohl, um anzudeuten, dass es um noch mehr als um die konkreten Erdbeben geht, die sie beschreibt.
Es geht um die Geschehnisse am 6. Mai 1976 im nordostitalienischen Friaul, im Dreiländereck zwischen Italien, Österreich und Slowenien, und einem Nachfolgebeben im September. Kinsky konzentriert sich auf ein bestimmtes Dorf im Kanaltal, das stark betroffen war und entwickelt daraus ein grandioses soziales und existenzielles Panorama. Detailliert werden die Eigenheiten dieses speziellen Terrains beschrieben, ein Tal zwischen den Karnischen und Julischen Alpen sowie den Karawanken, mit einem Dialekt, der zwischen dem Italienischen und dem Slowenischen wechselt.
Die Schönheit dieser Landschaft wird aber nie romantisiert, sondern durch die präzisen geologischen Gegebenheiten und die Materialverschiebungen erklärt. 
Raffiniert wechseln sich in ästhetisch zugespitzter Weise einzelne Kurzkapitel ab: aus der Perspektive einzelner Protagonisten des Dorfes, aber auch objektivierende Passagen über die spezifische Tier- und Pflanzenwelt. Im ersten Teil entsteht so ein vielfach gebrochenes Bild von den Stunden vor dem Erdbeben. Im weiteren Verlauf treten die familiären Verhältnisse der Protagonisten, ihr Beziehungsgeflecht und ihre soziale Situation immer deutlicher zutage. Die Armut, das Ausgeliefertsein sowie das Schicksalhafte zeigen sich in vielen sinnlich aufgeladenen Motiven, und auch in den Alltags- und Festritualen.
Der Kalkstein, bestimmte Vögel, bestimmte Farben der Landschaft und des Himmels verbinden sich etwa mit großen Fragen nach Menschlichkeit und Gemeinschaft. Das Politische in dieser umkämpften Grenzregion („die Partisanen kamen von zwei Seiten“) schwingt dabei ebenso immer mit. Ein überragendes und hochpoetisches Buch.
Esther Kinsky beschreibt das historische Ereignis, die spezifischen Auswirkungen und Gegebenheiten in diesem Dorf in Norditalien, das von einem Erdbeben erschüttert wird, äußerst beeindruckend – und zwar aus der Perspektive der Mensch-, Tier- und der Pflanzenwelt. Ein kunstvoller, hochpoetischer Roman.
Martin Wasser
 
Kinsky, Esther - Rombo
Roman. Berlin: Suhrkamp 2022. 264 S. - fest geb. : € 24,70 (DR)
ISBN 978-3-518-43057-6
 
 


 

 

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