Schönwald, Rudolf - Die Welt war ein Irrenhaus
Meine Lebensgeschichte
Rudolf Schönwald ist ein mittlerweile legendärer Künstler, er schuf Graphiken, Ölbilder, Wand- und Bühnenbilder, erfand eine legendäre Comicfigur („Goks“) und ist ein großartiger Erzähler. Erich Hackl hat nun das niedergeschrieben und in Form gebracht, was ihm Rudolf Schönwald bereits 2005 über sein Leben und Denken erzählt hat, und er konnte auch auf Barbara Coudenhove-Kalergis Gespräche mit Schönwald und dessen umfangreiche Aufzeichnungen zurückgreifen. Entstanden ist eine großartige Erzählung über ein außergewöhnliches Leben im 20. Jahrhundert. Erich Hackl hat dies alles nicht nur arrangiert, sondern gibt auch Schönwalds Perspektive und auch dessen Erzählweise wieder.
1928 in Hamburg geboren, wächst er bis zur Einschulung in Reinbek auf. Sein aus Wien stammender Vater, der Publizist Ludwig Schönwald, war als Halbjude zum Katholizismus übergetreten, die Mutter stammte aus der Breslauer Familie Pringsheim (sohin über zwei Ecken mit Thomas Mann verschwägert). Für die Nationalsozialisten genügte das, um die Familie als „jüdisch versippt“ einzustufen, was Rudolf und sein ein Jahr jüngerer Bruder Peter gemäß der Nürnberger Rassegesetze nicht waren.
Nach dem Umzug 1934 nach Salzburg lernen sie den Austrofaschismus der „Lodenmantelträger“ kennen. Vier Jahre später wird Hitler dort frenetisch von den Massen empfangen. Der Vater begeht Selbstmord, die Mutter zieht mit den Söhnen nach Wien, zur tschechischen Großmutter, die den jüdischen Glauben angenommen hat. 1943 fliehen sie nach Budapest, wo die Lage für „Geltungsjuden“ anfangs noch besser ist. Als die Deutschen einmarschieren, landen die Brüder im Lager, die Mutter wird nach Auschwitz deportiert. Der jüdische Schneider, bei dem Schönwald tagsüber als Lehrling unterkommt, bringt sich um. Die Mutter hat mehrere Konzentrationslager überlebt. In Wien holt Rudolf Schönwald sein Abitur nach, besucht die Kunstakademie (ohne Abschluss), befreundet sich mit dem Bildhauer Alfred Hrdlicka und dem Maler Georg Eisler. Er ist nun Kommunist, wenn auch kein sehr strammer, denn Enttäuschungen bleiben nicht aus. Die amerikanischen Besatzungssoldaten gefallen ihm (obwohl Klassenfeind) wegen ihrer Lässigkeit besser, später ist er nicht mehr so gut auf Amerika zu sprechen.
Er hält sich mit allen möglichen Jobs über Wasser (Schilder- und Kulissenmaler, Bürodiener, Theaterrequisiteur, Statist), sieht sich als „verkrachte Existenz“, der man „bestenfalls eine Hilfsarbeiterkarriere“ vorhersagt. Trotz seiner „Hinterbühnenkarriere“ gibt er den Plan, als Maler und Grafiker zu arbeiten, nie auf. Sein Liebesleben „ist nicht sehr ergiebig“, dafür lernt er beinahe alle Protagonisten des künstlerischen Aufbruchs im Wien der Nachkriegsjahre kennen, Künstler, Schauspieler, Autoren (dazu noch Besucher wie Jean Genet, Georg Lukács, Arthur Koestler, Klaus Kinski u.a.).
Er sah sich auch immer als politischer Künstler: „Kunst, die nicht politisch ist, ist sinnlos!“ Er erzählt von sich ohne sich selbst darstellen zu wollen, sein Tonfall ist stets leise-ironisch, wohlüberlegt, ohne Pathos. Einmal bedauert er, dass er es nicht schaffte, Freundschaften zu pflegen, oft habe er diese „weggeworfen, mutwillig oder aus Bequemlichkeit, dass ich mir heute an den Kopf greife“. Das betraf besonders Pinkas Spiegel, einen Wiener Juden, der in Bergen-Belsen „von britischen Soldaten aus einem Leichenhaufen gezogen wurde, nachdem sie bemerkt hatten, dass eines der Skelette noch schwache Lebenszeichen von sich gab“. Eine würdige, bemerkenswerte, großartig erzählte Lebensgeschichte.
Martin Wasser
Schönwald, Rudolf - Die Welt war ein Irrenhaus
Meine Lebensgeschichte. Nacherzählt von Erich Hackl. Wien: Zsolnay 2022. 304 S. - fest geb. : € 26,80 (BB)
ISBN 978-3-552-07255-8