Bücherschau

North, Ryan & Monteys, Albert - Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug

Graphic Novel
Literatur und Luftkrieg – um den Titel eines vieldiskutierten Buchs in Erinnerung zu rufen – stehen in einer starken Wechselbeziehung. So hat etwa auch der Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs deutliche Spuren in der US-amerikanischen Literatur, nicht zuletzt im Bereich der Phantastik, hinterlassen: Walter M. Miller jr. verarbeitete seine Kriegserlebnisse rund um die Bombardierung von Monte Cassino in seinem „Lobgesang auf Leibowitz“ (1959) und Kurt Vonnegut, als Kriegsgefangener ein Überlebender der Zerstörung Dresdens im Februar 1945, schuf mit „Schlachthof 5“ (1969) nicht nur einen Meilenstein der postmodernen Literatur, sondern auch einen radikalen und nicht nur unumstrittenen Antikriegs-Roman: Im Zentrum seiner kaleidoskophaften Erzählung steht Billy Pilgrim, der sich wortwörtlich von der konventionellen Erfahrung von Zeit losgelöst hat. Ausgehend von traumatischen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg stolpert er nunmehr zyklisch – und eben nicht mehr linear – durch das Sein. Das bedeutet – wie auch in Ted Chiangs „Story of Your Life” (1998) – eine Endgültigkeit der Gleichzeitigkeit: „Jede Zeit ist jederzeit.“
Ohne bestimmen zu können zwischen welchen Sequenzen seines Lebens er wechselt, gewinnt er trotzdem ein Wissen über die eigene Existenz, hin bis zu seinem gewaltsamen Tod. All die bildstarken Zustände seines Lebens sind damit zugleich wahr und existent, sei es Kriegsgefangenschaft, Arbeits- und Familienleben oder der eher unfreiwillige Besuch auf dem Planeten Tralfmadore. Aufgrund dieser Umstände und der Aufsplitterung seines Selbst befindet sich Pilgrim aber nicht nur einem neuen Zustand von Erkenntnis, der sich in einem „telegraphisch, schizophren anmutenden Stil“ darstellt, sondern eben auch in einem unausgesetzten „Lampenfieber“. Wenig überraschend wurde „Schlachthof 5“ deshalb immer wieder als Krankengeschichte oder Eskapismus-Phantasie gelesen, stört bzw. zerstört der Krieg doch nicht zuletzt auch Persönlichkeit und Seele. Pilgrim ist im wortwörtlichen Sinne ver-rückt geworden – und gewinnt erst durch die Begegnung mit Aliens das stoische Mantra „So ist das“ als Losung (und: Erlösung) für sich.
Völlig nachvollziehbar, dass Pilgrims mal willkommene, dann wieder durchaus ungelegene Bewegung in einer fortwährenden, aber eben nicht im klassischen Sinne kontinuierlichen Gegenwart, zur Adaption reizt. Neben der bemerkenswerten und preisgekrönten Verfilmung durch George R. Hill aus 1972 ist das sequentielle Erzählspektakel Vonneguts nun auch im Medium Comic zu bewundern: North und Monteys haben dabei aber weit mehr geschaffen als eine Übertragung in ein anderes Medium, ihre Graphic Novel ist vielmehr eine Version des Romans und damit auch besonders klar als eigenständiges Werk zu verstehen. Auf gewitzte Weise haben sie literaturhistorische Elemente ebenso eingebaut wie ein vorsätzliches Reflektieren über das Verhältnis zur Vorlage. Vonnegut nachfolgend machen sich North und Monteys die Metafiktion – also das Ausstellen von literarischer Konstruiertheit oder auch das Hinweisen auf das Erzählen und seine Bedingungen – zunutze, um vertraute narrative Strukturen nicht nur zu verwenden, sondern eben auch zu erweitern. Da ist es dann ganz selbstverständlich, dass sich ein Comic im Comic entfaltet oder Rückwärtsbewegungen zu einem Einsatz von stark reduzierten Vorzeichnungen führen. Fazit: Ein echter Meilenstein, der ein visuelles Nebeneinander zelebriert – und uns mahnt. 
Thomas Ballhausen
 
North, Ryan & Monteys, Albert - Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug
Ludwigsburg: Cross Cult 2022. 192 S. - fest geb. : € 36,00
ISBN 978-3-96658-504-0

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