Raich, Tanja (Hg.) - Das Paradies ist weiblich
Was wäre wenn
In Bezug auf das Matriarchat existieren die unterschiedlichsten Vorstellungen. Meist wird es als Gegenteil zum Patriarchat angesehen und mit vorwiegend negativen Assoziationen belegt. Von der Unterdrückung der Männer ist oft die Rede, von kriegerischen Amazonen, von vertauschten Rollen. Auf der anderen Seite wird die Idee einer Welt, in der Frauen das Sagen haben, oft auch verklärt gesehen: alles wäre besser im „weiblichen Paradies“. Tanja Raich hat 20 Autorinnen und Autoren eingeladen, ihre Version des Matriarchats zu schreiben. Die Texte, die sie in der Anthologie „Das Paradies ist weiblich. 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben“ vereint hat, hätten kaum unterschiedlicher ausfallen können. Mit Beiträgen von Mithu Sanyal, Feridun Zaimoglu, Margit Schreiner, Barbara Rieger, Shida Bazyar, Kübra Gümüşay, Miku Sophie Kühmel, Kristof Magnusson, Sophie Süßmilch, Julia Korbik, Nicolas Mahler, Getraud Klemm, Anke Stelling, Linus Giese, Philipp Winkler, Mareike Fallwickl, Tonio Schachinger, Simone Hirth, Jaroslav Rudiš und Emilia Roig.
In Form von Essays, autobiografischen Erinnerungstexten, einem Comicstrip und einem Dramolett loten die Beitragenden verschiedene Spielarten des Matriarchats aus. Die Bandbreite reicht von Auseinandersetzungen mit Mutterfiguren, über kritische Betrachtungen des Literaturbetriebs bis hin zu Geschlechtsumwandlungen im Tierreich und „Queertopia“, einem Ort, an dem jede*r so akzeptiert wird, wie er*sie ist.
„Welches Matriarchat hätten Sie denn gern?“ fragt gleich zu Beginn Mithu Sanyal, denn dass es nicht bloß das eine einzige Gegenmodell zum Patriarchat gibt, das versteht sich von selbst. Auch die Annahme, dass es beim Matriarchat bloß darum geht, Hierarchien umzukehren, wird schnell widerlegt: vielmehr sollen diese in Frage gestellt werden. Wie sehr diese Hierarchien auch im Literaturbetrieb nach wie vor fest verankert sind, wird spätestens beim Lesen von Nicolas Mahlers satirischem Comicstrip „Die Verlegerin“ und Simone Hirths köstlich überspitzten Rezensionen von Klassikern der Literaturgeschichte in Erinnerung gerufen. Ziel ist es, Missverhältnisse aufzuzeigen und Veränderungen nahezulegen, dazu müssen Frauen nicht erst zum aggressiven Hyänenweibchen werden. Trotzdem täte, wie Gertraud Klemm betont, auch eine realgetreuere Darstellung von Tierfiguren im Kinderprogramm gut, wo Frauenherden für kitschige Vater-Sohn-Geschichten herhalten müssen und männliche Seepferdchen belächelt werden, weil sie ihre Jungen gebären.
„Das Paradies ist weiblich“ ist ein ungemein aufschlussreiches, spannendes und auch sehr unterhaltsames Buch, das einiges an Denkanstößen bietet und Vorurteile zurechtrückt. Bevor sich jemand ein voreiliges Bild über das Matriarchat macht, sei ihm/ihr ans Herz gelegt, diesen 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben zu folgen. Einiges, was dort auf die Lesenden wartet, wird sie sicherlich überraschen.
Barbara Seidl, Litrobona
Raich, Tanja (Hg.) - Das Paradies ist weiblich
20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben. Zürich: Kein + Aber 2022. 254 S. - fest geb. : € 24,70 (DR)
ISBN 978-3-0369-5870-5